Erneut ist Lieferando aufgrund einer BR-Recherche in den medialen Fokus gerückt. Erst Ende Februar 2021 hatten wir in einem Beitrag über „Lieferandos Schatten(web)seiten“ berichtet.
Dieses Mal gibt es neue Beweise dafür, dass das Unternehmen seine Fahrer, die sogenannten Rider, überwacht.
Was ist passiert?
Bereits im November 2020 wurden erstmals Vorwürfe der Fahrer-Überwachung gegenüber dem Konzern erhoben. Er soll detaillierte Tracking-Daten seiner Beschäftigten gespeichert haben, die teilweise bis ins Jahr 2018 zurückreichen.
Hierfür wird unternehmensintern die App „Scoober“ eingesetzt.
Sie dient nicht nur als Arbeitszeiterfassungstool (zu Dienstbeginn ist die App von dem Beschäftigten auf dem jeweiligen Endgerät zu starten), sondern teilt den Ridern auch die Lieferaufträge zu. Es wird sekundengenau festgehalten, wann ein Auftrag zugeteilt, das Essen im Restaurant abgeholt und dem Kunden zugestellt wurde. Hierfür werden bis zu 39 Datenpunkte pro Lieferung erhoben. Und damit es nicht langweilig wird, werden zusätzlich die Zeitvorgaben mitprotokolliert, also ob der Rider sich an seine Zeitvorgaben hält, ob er pünktlich ist oder eben nicht. Kritisch ist an dieser Stelle, dass aufgrund der Erhebung der Daten eine personalisierte Zuordnung möglich ist. Welche Daten die App im Einzelnen über die Rider speichert, wird den Betroffenen nur unzureichend mitgeteilt.
Wie ist es ans Licht gekommen?
Seit Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) im Jahr 2018 haben Beschäftigte das Recht, von ihrem Arbeitgeber Auskunft darüber zu erlangen, welche persönlichen Daten über sie gespeichert sind. Diese DSGVO-Auskünfte wurden von Lieferando-Beschäftigten getätigt und u. a. dem BR für seine Recherche zur Verfügung gestellt.
Des Weiteren wurde der Landesdatenschutzbeauftragte Baden-Württemberg von einem Rider beauftragt, die ihm mitgeteilten Daten auszuwerten und zu analysieren. Das Ergebnis ist eine „sehr engmaschige Überwachung“, da alle 15 – 20 Sekunden der genaue Standort übermittelt wird. Laut Definition entspricht dies dem sogenannten Tracking – dauerhafte Überwachung. Damit nicht genug: Die App übermittelt auch Daten an Drittanbieter wie beispielsweise Google. Experten sehen hier massive Verstöße gegen die DSGVO, ist sie doch geschaffen worden, um genau solche Situationen zu verhindern. Grundsätzlich ist ein Tracking der Beschäftigten möglich, aber nicht „am laufenden Band“, sondern – wenn überhaupt – nach dem Prinzip „so wenig wie möglich, so viel wie nötig“.
Was sagt Lieferando dazu?
„Kritisch äußert sich auch Semih Yalcin, Vorsitzender des Lieferando-Gesamtbetriebsrates für Deutschland. ‚Aus unserer Sicht liegt hier totale Überwachung vor. Wir halten es für völlig unverhältnismäßig‘, so Yalcin im Interview mit dem BR. Nach Angaben des Betriebsrates würden die angestellten Rider nur unzureichend über die Funktionsweisen der App aufgeklärt. Der Betriebsrat erarbeite aktuell Verbesserungsvorschläge für die App.“ Der Konzern selbst hingegen argumentiert, dass die App und die damit einhergehende Datenerhebung angeblich den aktuell geltenden Datenschutzbestimmungen entsprechen würde. Außerdem sei die Erfassung dieser Daten unerlässlich für den reibungslosen Betriebsablauf eines Lieferdienstes. Zu keiner Zeit würde eine persönliche Leistungskontrolle der Beschäftigten stattfinden.
Allerdings sind in Lieferandos Datenschutzerklärung für Bewerber und Fahrer folgende Informationen zu finden: „Die von der Scoober-App erfassten Daten werden zusammen mit Ihren Beschäftigungsdaten zu Ihrer individuellen Leistungsbewertung herangezogen. […] Takeaway.com ist befugt, automatisierte Entscheidungen im Einzelfall einschließlich Profiling für oben beschriebenen Zwecke zu nutzen.“
Wie geht es nun weiter?
Der Landesdatenschutzbeauftragte Baden-Württemberg hat die Ergebnisse seiner Analysen an die niederländische Datenschutzbehörde weitergeleitet. Da das deutsche Unternehmen eine Tochter des niederländischen Konzerns „Just Eat Takeaway“ ist, muss nun geprüft werden, zu welchem Ergebnis die Niederländer kommen. Sollten sie zu einer ähnlichen Einschätzung kommen, droht dem Konzern eine Strafzahlung, die bis in die zweistellige Millionenhöhe gehen kann. Der Konzern hat sich bisher nicht dazu geäußert.
Du siehst, mit Lieferando wird’s nie langweilig!
In Zusammenarbeit mit der AG Datenschutz.
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